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MrSpinnert vor 5 Monaten
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War der Vibrator ein medizinisches Gerät?

Laut einem verbreiteten Narrativ ist der Vibrator der Idee männlicher Ärzte zu verdanken, die die ominöse Krankheit „Hysterie“ durch Orgasmen behandeln wollten. Hinter der Geschichte dieses einst „medizinischen“ Geräts verbergen sich nicht nur kuriose Irrtümer, sondern auch grausame Ein- und Übergriffe. Denn lange galt: Lust ist gefährlich – besonders, wenn Frauen sie selbst entdecken.

Die Dokumentation wirft einen kritischen Blick auf die Legende vom Vibrator als medizinischem Gerät zur Behandlung weiblicher „Hysterie“. Wurde er tatsächlich von Ärzten erfunden – und hat er so unbeabsichtigt zur sexuellen Emanzipation beigetragen? Die filmische Spurensuche zeigt, wie sich der Umgang mit weiblicher Sexualität über die Jahrhunderte verändert hat – und wie oft gerade Männer in der Medizin versuchten, diese zu kontrollieren. Bereits im antiken Griechenland finden sich Hinweise auf die gesellschaftliche Akzeptanz weiblicher Lust – inklusive der Nutzung von Sexspielzeugen. Auch in anderen Epochen zeugen Kunst und Literatur von einer offeneren Haltung gegenüber weiblicher Sexualität. Umso erstaunlicher erscheint es, dass der Vibrator im prüden England des 19. Jahrhunderts entstand. Laut einer populären These wurde er von Ärzten entwickelt, um Frauen durch gezielte Orgasmen von „Hysterie“ zu heilen. Die Sexualhistorikerin Hallie Lieberman hat diesen Mythos umfassend untersucht – und dabei viele Widersprüche entdeckt. Die Dokumentation deckt nicht nur die tatsächlichen Ursprünge des Vibratorsauf, sondern beleuchtet auch die erschreckenden Methoden, mit denen „Hysterie“ behandelt wurde. Statt Befreiung bedeutete medizinische Praxis für viele Frauen Unterdrückung: von Ignoranz gegenüber Lust bis hin zu verstümmelnden Eingriffen wie der Entfernung oder Verätzung der Klitoris. Warum versuchten Männer, Frauen den Zugang zu ihrem eigenen Körper zu verwehren? War es Angst – nicht nur vor weiblicher Sexualität, sondern auch davor, dass Frauen Kontrolle über ihr eigenes Leben übernehmen könnten? Ein aufschlussreicher Beitrag zur Geschichte von Medizin, Macht und weiblicher Selbstbestimmung.

War der Vibrator ein medizinisches Gerät? | Stimmt es, dass …? | ARTE

Ausführliche Anmerkungen: https://rebrand.ly/ojqdaub

Hallie Lieberman (2017): „Buzz – A Stimulating History of the Sex Toy“
(http://pegasusbooks.com/books/buzz-9781681775432-hardcover)

Rachel Maines (2001): „The Technology of Orgasm – ‚Hysteria‘, the Vibrator, and Women’s Sexual Satisfaction“ (https://www.press.jhu.edu/books/title/2867/technology-orgasm)
Hallie Liebermans Kritik an dem Buch (2018): „A Failure of Academic Quality Control“ (https://www.researchgate.net/publication/349578096_A_failure_of_academic_quality_control_The_technology_of_orgasm).

Joseph Mortimer Granville (1883): „Nerve-vibration and excitation as agents in the treatment of functional disorder and organic disease“ (https://3660d3164b7bf9624969267ec54288d3-gdprlock/details/nervevibrationex00gran/mode/2up). Zitierte Stelle S. 57.

Hippocrates: „Diseases of Women 1“ (Gynaikeia) – abrufbar in englischer Übersetzung (https://www.jstor.org/stable/3173068?read-now=1&seq=1#page_scan_tab_contents)

Sabine Arnaud (2015): „L'invention de l'hystérie“ (deutscher Titel: Die Erfindung der Hysterie im Zeitalter der Aufklärung) (https://editions.ehess.fr/fr/ouvrages/ouvrage/edifiante-hysterie/)

Karen Nolte (2013): „Gelebte Hysterie. Erfahrung, Eigensinn und psychiatrische Diskurse im Anstaltsalltag um 1900“ (https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wissenschaft/geschichte/gelebte_hysterie-2063.html)

Nadine Beck (2024): „Der vibrierende Dildo. Vibratoren als Sex Toy, Gesundheits- und Empowerment-Tool – eine kulturwissenschaftliche Spurenlese“ (https://buchshop.bod.de/der-vibrierende-dildo-nadine-beck-9783942818407)

Kapitel:
00:00 Einführung: historische Sextoys weltweit
03:38 Vibrator zur „Behandlung“ von „Hysterie“– ein Mythos?
07:32 Misogynie in der Arztpraxis: Hysterie als Krankheitsbild
12:29 Vibrator wird Emanzipationssymbol
17:41 Fazit