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Frau Holle (1948)

„Frau Holle“ ist ein Märchenfilm aus dem Jahr 1948 von Hans Grimm. Das Drehbuch von F. Emmel und Peter Hamel basiert auf dem gleichnamigen Märchen aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Erstveröffentlichung war erst 1948, obwohl der Film bereits vor Kriegsende fertiggestellt wurde.

Zwei Schwestern gelangen in das Märchenreich der Frau Holle und müssen ihre Tüchtigkeit und Hilfsbereitschaft unter Beweis stellen. Das gute und fleissige Mädchen erhält ein goldenes Kleid. Die faule Schwester bekommt ein Pechgewand für ihre schlechten Dienste. Das Pech löst sich erst von ihr, wenn sie ihre Faulheit überwunden hat.

Darsteller:

  • Elfie Beyer – Blondmarie
  • Trude Bock – Schwarzmarie
  • Hans Terofal – Schafhirten Kaspar Franz
  • Hertha von Hagen – Frau Holle
  • Carl Wery

Nur drei von fast 50 deutschen Spielfilmen, die vor Kriegsende begonnen, fertiggestellt oder zensiert wurden, werden erst nach 1945 im Kino gezeigt. Als sogenannte Überläuferfilme haben sie Filmgeschichte geschrieben. Der Grund: An ihnen werden Parallelen und Brüche, Anpassung und Verweigerung – die das NS-Kino von Beginn an prägen – noch einmal besonders deutlich.

Dass sich unter den Überläufern auch ein Märchenfilm befindet, ist heute fast vergessen. Dabei ist „Frau Holle“ der erste Nachkriegs-Märchenfilm, den die alliierte Militärzensur im Oktober 1948 zulässt und der schon einen Monat später in den Kinos anläuft. Mit der Verfilmung des Grimmschen Märchens über eine Witwe mit einer fleißigen und einer faulen Tochter, die bei Frau Holle die Betten schütteln und dafür mit Gold oder Pech belohnt werden, wird bereits im Juni 1944 in Bayern begonnen.

Der Drehbeginn lässt sich aus Schauspieler-Anstellungsverträgen datieren, die damals bei der Reichsfilmkammer einzureichen sind. Produziert wird der Märchenfilm von Naturfilm Hubert Schonger, die seit 1938 bereits zwölf Märchen mit Schauspielern verfilmt hat und nun „Frau Holle“ fürs Kino adaptieren will. Dennoch ist bei Filmproduktionsdokumenten, wie jene Anstellungsverträge für Schauspieler, immer auch Vorsicht geboten. Denn das „Dritte Reich“ steht zu dieser Zeit kurz vor seinem Zusammenbruch.

Wie der Filmhistoriker Thomas Brandlmeier in seinem Aufsatz zu Überläufern schreibt, werden „Filme (auch zum Schein, d. A.) gedreht, notfalls ohne Rohfilm, ohne Strom, ohne Benzin. Die uk-Stellung ist wichtig, die meisten Filmleute waren bereits an der Front“. Damit werden Filmproduktionsvorhaben 1944/45 Teil von Überlebens-Strategien, die den Filmstab vor dem Fronteinsatz retten. Ob das für „Frau Holle“ auch zutrifft, bleibt offen, denn die Filmstabsliste liest sich wie das Who-is-Who der deutschen NS-Filmbranche.

Hans Grimm, Ex-Chef-Tonmeister des Filmkonzerns Tobis, führt Regie. Bernhard Eichhorn, bis 1944 Musikdirektor der Städtischen Bühnen in Dresden, schreibt die Filmmusik. Und Heinrich „Heinz“ Schnackertz, Chef-Kameramann der Bavaria, steht hinter der Kamera. Als der Märchenfilm 1948 in Berlin uraufgeführt wird, erfährt aber niemand etwas von ihnen. Weder im Vor- noch im Nachspann erscheinen ihre Namen. Kein Wunder, denn einige Filme, an denen sie vor 1945 beteiligt sind, werden nach 1945 verboten.

Dabei weht „Frau Holle“ vor der Premiere noch ein ganz anderer Wind entgegen. Es gibt damals große Vorbehalte gegenüber Märchen, vor allem wegen darin vorkommender Grausamkeiten, die als literarische Wurzel der Nazi-Verbrechen gelten. Was heute obskur klingt, prägt 1946/47 die öffentliche Meinung der westlichen Alliierten. In diesem Anti-Märchen-Klima wirkt der Kinostart von „Frau Holle“ fast wie ein Neustart. Und doch ist es keiner. Vielleicht ein erzählerischer.

Was anfangs auffällt, sind die Figuren, die sich – anders als die moderne Rahmenhandlung vermuten lässt – noch dem NS-Märchenfilmkino verpflichtet sehen. Das richtet sich damals an Kinder zwischen vier und acht Jahren. Entsprechend kindertümlich ist die Inszenierung. Doch es gibt nicht nur Kontinuität zum bisherigen Kino des „Dritten Reichs“, sondern auch Brüche, die – so scheint es wenigstens – für Veränderung in den Köpfen der Macher sprechen, zum Beispiel der beiden Drehbuchschreiber Felix Emmel und Peter Hamel.

Eine Einstellung in „Frau Holle“ fällt hier besonders auf: Als die fleißige Blondmarie aus Versehen eine Spindel in den Brunnen fallen lässt, befiehlt die Stiefmutter heftig und unbarmherzig: „Hast du die Spule hinunterfallen lassen, so hol sie auch wieder herauf.“ Doch das Drehbuch lässt sie in ihrer Todesangst nicht in den Brunnen springen – wie noch bei den Grimms. Durchaus ein Bruch mit dem NS-Verständnis, wie Märchen zu verfilmen sind.

Mehr lesen: www.zukunft-braucht-erinnerung.de/frau-holle-deutschland-1944-48-die-ueberlaeuferin/